Was bedeutet „Alltagswunder“ für dich?
Für mich gibt es überall Alltagswunder. Ich sammle sie eigentlich schon seit 2001 – mal bewusster, mal nebenbei. Und über die Jahre hat sich mein Blick geschärft.
Ich liebe zum Beispiel Kinder zu beobachten, die nach der Schule nach Hause rennen, mit ihren Ranzen, die wild hin und her schwingen. Oder Katzen, die konzentriert und vorfreudig auf einer frisch gemähten Wiese vor einem Mauseloch sitzen und warten, dass vielleicht eine Maus auftaucht. Ich liebe entspannte Sonntage mit leckerem Frühstück, die ersten Rosen meiner Hecke „Pauls Himalayan Dusk“ und liebevoll-individuell eingerichtete Häuser. Und ich liebe Gärten mit Staketenzäunen. Ich habe eine persönliche Theorie, dass Menschen mit Staketenzäunen besonders nett sind – auch wenn ich das natürlich nicht beweisen kann.
Alltagswunder sind für mich Momente, in denen man die Schönheit erkennt – in den Dingen, im Leben, in dem, was andere Menschen erschaffen. Es ist eine Form von Achtsamkeit. Und auch eine Form von Liebe.
Wenn du an deine Kindheit denkst – was waren damals Alltagswunder für dich? Haben sich deine Augen für Wunder im Laufe deines Lebens verändert?
Ich glaube, mein Blick auf Alltagswunder hat sich eigentlich nie groß verändert. Ich sehe viele Dinge heute noch mit dem gleichen Staunen wie früher. Tiere und Kinder waren immer und sind auch heute noch Alltagswunder-Garanten. Und mir ist bewusst, dass das nicht bei allen so ist. Viele verlieren leider diesen Blick irgendwann.
Vielleicht liegt es bei mir daran, dass ich mit zwölf krank wurde und über Jahre keinen wirklichen Kontakt mehr zur Außenwelt hatte. Ein Teil von mir blieb dadurch einfach so, wie er war: kindlich, empfindsam, offen. Ich wurde auf eine gute Art nie erwachsen. Und ich empfinde das heute als großes Geschenk.
Mit 17 habe ich dann begonnen, bewusst Alltagswunder für alltagswunder.de zu sammeln und mit 24 wurde ich Mama. Es gab also in meinem Leben nie eine „wunderfreie“ Phase. Auch wenn vieles schwierig war, oft sogar sehr schwer – dieses Staunen habe ich nie verlernt.
Gibt es einen alltäglichen Moment, der für dich immer wieder wie ein kleines Wunder wirkt? Auch wenn er immer wieder geschieht und eigentlich ganz unspektakulär ist?
Ich finde es jedes Mal schön, wenn Pflanzen auskeimen, die ich selbst gesät habe. Und wenn ich dann später das selbst angepflanzte Gemüse ernte, ist das für mich ein echtes Alltagswunder.
Ich liebe auch Sommerregen – und wie die Luft danach riecht. Das macht mich immer glücklich, und ich glaube, das wird sich nie ändern. Genauso geht es mir mit dem Duft von selbst gebackenem Kuchen oder Brot.
Was hilft dir, das Schöne im Leben (wieder) zu sehen – gerade an schweren Tagen? Gibt es ein Ritual, einen Gedanken, eine Erinnerung, was dir sofort wieder Freude bringt?
Ich glaube, es ist zuerst eine Entscheidung im Kopf. Ich atme tief durch und falte die Hände vor der Brust und frage kurz: „Was soll das denn nun wieder?“ Manchmal habe ich dann sofort eine Antwort, manchmal nicht. Ich reagiere immer sehr bewusst auf Situationen und Gefühle. Früher war ich oft in einer Schockstarre und wusste nichts mit mir anzufangen.
Manchmal werfe ich mich dann auch heulend und schreiend auf den Boden. Ja, ich bin theatralisch und hysterisch. Aber ich habe für mich erkannt, dass das gar nicht so schlimm ist. Schlimmer wäre es, das in mir zu unterdrücken. Denn meistens stehe ich nach wenigen Sekunden wieder auf, schmunzle und mache einfach weiter.
Ich habe als Kind sehr darunter gelitten, dass die Menschen um mich herum nicht echt waren. Deshalb habe ich mir zur Aufgabe gemacht, immer authentisch zu sein – vor allem für meine Kinder.
Das finden manche seltsam. Aber meist sind das Menschen, die ihre eigenen Gefühle nicht zulassen. Ich kann nur empfehlen: Übertreib ruhig mal ein bisschen. Lieber kurz 100%-Drama und dann genau diese Energie in etwas Produktives verwandeln. Das ist Kreativität.
Unterdrückte Gefühle machen träge und krank. Gelebte „herausfordernde“ Gefühle können etwas Wunderschönes werden.
Was möchtest du Menschen sagen, die im Moment keine Wunder sehen können? Gibt es Worte, die du dir selbst einmal gewünscht hättest, als es dir nicht gut ging?
Ich hatte viele Phasen in meinem Leben, in denen ich mich einsam und verzweifelt gefühlt habe. Ich hätte jemanden gebraucht, der mir einfach etwas abnimmt. Worte haben mir in diesen Zeiten kaum geholfen. Was mir wirklich gefehlt hat, war jemand, der einfach da ist und wirklich zuhört. Nicht, um zu antworten oder etwas zu reparieren, sondern einfach, um den Schmerz mit auszuhalten.
Ich glaube, unsere Gesellschaft braucht weniger Ratschläge im Stil von: „Mach das so, dann wird es besser.“ Und viel mehr: „Ich sehe dich. Ich verstehe dich.“ Leider reden wir heutzutage oft nur, um zu entgegnen – statt uns wirklich zu begegnen.
Mit Alltagswunder wünsche ich mir, einen Raum zu schaffen, der genau daran erinnert. Einen Raum, in dem Mitgefühl mehr zählt als Lösungen. Und Wahrheit mehr als Effektivität.
Was denkst du: Was würde sich verändern, wenn mehr Menschen sehen könnten, wie viel Schönes es gibt – und wie oft das Leben für uns ist? Glaubst du, dass sich unser Miteinander – oder vielleicht sogar die Welt – dadurch verändern könnte?
Ich glaube, es würde sehr vieles verändern – vor allem unsere Art, mit uns selbst und miteinander umzugehen.
Wenn wir das Schöne im Leben wieder bewusster wahrnehmen würden, bräuchten wir weniger von dem, was uns ablenkt oder betäubt. Wir würden weniger konsumieren, die Natur und unsere Umwelt automatisch mehr achten, mit Ressourcen – auch unseren eigenen – bewusster umgehen.
Das würde sich auf fast alles auswirken: Wir wären weniger gestresst, müssten weniger leisten, wären seltener erschöpft oder krank – seelisch wie körperlich.
Leider sehe ich im Moment eher eine Bewegung in die andere Richtung. Es gibt viel Ablenkung, viel Lautes. Während der Pandemie wirkte es, als würde sich im kollektiven Bewusstsein etwas verschieben. Doch kaum war die Pandemie vorbei, schien alles nicht nur zum Alten zurückzukehren – sondern sich noch ein bisschen weiter zurück entwickeln.
Aber vielleicht braucht es genau deshalb Alltagswunder – als Erinnerung. Leise und beständig.
Welcher Tag des Alltags ist dein liebster? Magst du Montage – oder findest du sie eher anstrengend? Was bedeutet dir der Übergang von Wochenende zu Alltag – Neubeginn oder eher Pflichtprogramm?
Ich mochte schon immer Freitage – sie stehen für mich für Vorfreude aufs gemeinsame Wochenende und dieses Gefühl „das wäre geschafft!“. Auch Montage mag ich eigentlich, weil ich dieses Gefühl von Neuanfang liebe. Aber das deutsche Schulsystem hat mir jahrelang viele Nerven geraubt und meine Lust auf Montage etwas gedämpft.
Trotzdem spüre ich: Das Glück des Wochenbeginns wird zurückkommen. Ich bin sicher, dass es sich wieder zeigen darf – wenn wir diesem System entwachsen sind und die Wochen wieder nach unserem eigenen Rhythmus leben dürfen.
Was würdest du dir als „großes Wunder“ für die Welt wünschen? Wenn alles möglich wäre – was würdest du verändern?
Genau das, was Alltagswunder ist und aussagt: Mehr Mitgefühl, weniger Hektik. Mehr Sein statt Schein. Mehr Bewusstsein, weniger Getöse. Mehr Tiefe, weniger Tamtam. Weniger müssen. Mehr dürfen. Und dass wir das Schöne (also auch uns gegenseitig) wieder wirklich sehen.
Wo finden wir dich – und deine Alltagswunder? Wo bist du am liebsten unterwegs? Offline wie online – wo teilst du deine kleinen Zaubermomente mit der Welt?
Hier natürlich. Und bald auch an anderen Orten. Es entstehen gerade weitere Projekte im Hintergrund. Mehr verrate ich, wenn die Zeit reif ist.